Biography

1965

 

born in Germany

1989-1996

 

Akademie der bildenden Künste, München, Prof. Helmut Sturm, Meisterschülerin, Diplom

1999-2009

 

lived and worked in London

2009-2021

 

Heidenheim, Germany

since 2021

 

Bremen, Germany

Rede von Barbara Reil, Städtisches Museum Lindau, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung substance and shadows in der Galerie Plattform 3/3

 

Johanna Bauer

SUBSTANCE AND SHADOWS

 

Großformatige Leinwandbilder in starken Farben, die den Betrachter schon aus der Ferne zu sich rufen; oft herausfordernd in ihrer Materialität – hier hängt ein Abendkleid im Bild, dort setzen Holzlatten (die Reste einer alten Haustür) einen fast schon brachialen Akzent unter ein zartes Gewebe aus Buchstaben und Spitzenbordüren. Immer wieder sind Schriftelemente in die Darstellung integriert, es sind Textfragmente nur, aber – sofern sie lesbar sind – mit starkem Appellcharakter: „let me out/ set me free“ oder „this land is my land“. Dazu fragilere Blätter mit bisweilen kaum erkennbaren Motiven – die Monotypien. Sie formieren neben den Gemälden und Materialcollagen eine weitere markante Werkgruppe im Schaffen der Künstlerin Johanna Bauer, die hier in der Galerie der Plattform 3/3 einen kleinen Ausschnitt ihrer Produktion der letzten Jahre zeigt.

 

Beim Versuch einer Einteilung nach Themen und Motiven, fällt auf, dass es durchaus klassische Sujets sind, die immer wiederkehren: Landschaft und Blumenstillleben etwa, daneben literarisch inspirierte Darstellungen und solche mit sozialkritisch-politischer Intention.

 

Gleich am Eingang empfängt uns eine Arbeit von 2011, die Bauer auf ihrer Homepage in der Kategorie „lyrical“ (poetisch) führt, eine Zuschreibung, die unmittelbar einleuchtet: „Alice's adventures underground“ ist benannt nach der Erstausgabe des Kinderbuchklassikers von Lewis Carrol, der als „Alice im Wunderland“ Berühmtheit erlangte und vom Zeitpunkt seiner Veröffentlichung Mitte des 19. Jahrhunderts an zahlreiche bildende Künstler beschäftigt hat. Sie alle – und das schließt Johanna Bauer mit ein – haben Carrols Text dabei jeweils auf ihre ganz eigene Art und Weise gelesen: Für die Surrealisten war die märchenhafte Erzählung Sinnbild ihrer eigenen Suche nach dem Phantastischen; in den 60er und 70er Jahren – man denke an Sigmar Polkes psychedelische Alice-Version – verstand man sie als literarischen LSD-Trip (wir erinnern uns, dass Alice durch den Konsum wundersamer Substanzen, Elixiere und Pilze abwechselnd größer und kleiner wird).

 

Und Johanna Bauer? Ihre Lektüre der Alice-Geschichte ist um nichts weniger bezeichnend für ihr Schaffen: Sie führt mit dem ersten Satz des Romans in die Bilderzählung ein (er wird oben in der originalen Typografie zitiert), heftet ein weißes Kleid an die Leinwand, das die Titelheldin symbolisch vertritt, und montiert ringsum Zeitungsausschnitte aus der kubanischen „Granma international“. Die Artikel stammen von 2010; sie sind aktuell, berichten aber von einem Ereignis, das mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt – die alte Geschichte vom Kampf des Revolutionsführers Fidel Castro ist durch ihre ständige Wiederholung und die Glorifizierung ihres Helden längst selbst zu einer Art Märchen geworden.

 

Die Erkenntnis, dass wir in einer verkehrten Welt leben, in der auch das, was wir für Realität halten, sich bei näherer Betrachtung als Fiktion erweisen kann, ist eine wesentliche Komponente von Carrols Roman und hier die Botschaft von Johanna Bauers Bild.

 

Im denkbar größten Gegensatz zu den waffenstarrenden Revolutionären, die auf den alten Fotos zu sehen sind, steht das unschuldige Weiß des Kleides: Im Buch ist Alice diejenige, die sich mit den unterdrückten Untertanen der tyrannischen Herzkönigin solidarisiert. Insofern sich das Gemälde somit als Metapher des Protests deuten lässt, passt es ebenso in die zweite Kategorie, die Johanna Bauer für ihre Arbeiten anbietet: „politisch“ (political).

 

Tatsächlich geht es in ihren Bildern oft um Aufstand, Protest und Revolte – sei es gegen politische Missstände oder überkommene gesellschaftlich Normen. Das gilt etwa für die „Arab Uprisings“, die sich auf Ereignisse des arabischen Frühlings beziehen: Auch für „Arab Uprisings 1“ hat Bauer Material aus der aktuellen Tagespresse verwendet. Das Foto aus der Süddeutschen Zeitung  zeigt eine Demonstration in Tunesien. Eine aufgebrachte Menge protestiert gegen die Schließung eines Kinos, das westliche Filme im Programm hatte – ein starkes Bild, das für sich spricht. Um zu verstehen, um was hier geht, braucht der Betrachter gar nicht zu wissen, was der arabische Schriftzug bedeutet, der auf dem Transparent der Demonstranten steht und unten noch einmal vergrößert ins Bild projiziert wird, nämlich: „Freiheiten“. Beide – Zeitungsausschnitt und Inschrift – sind dabei integrale Elemente der Gestaltung: Das Foto wird eingebunden in eine Reihe rautenförmiger Kacheln, die arabische Fliesenmuster assoziieren. Und der Schriftzug dient vor den kompakten Farbflächen des Hintergrunds als grafischer Akzent. Dieses Bild hat große sinnliche Kraft – deshalb sind wir bereit es anzuschauen und länger davor zu verweilen, als etwa vorm Schaukasten einer Tageszeitung.

 

Eine entscheidende Rolle spielt Schrift auch in den den „landscapes“: Die Landschaft – im Sinne einer natürlichen Geländeformation – ist dabei nur angedeutet durch braune Flächen, saftiges Wiesengrün, Vertikalen, die Baumstämme assoziieren. Welche Gegend hier gemeint sein soll, können wir nur ahnen. Aber wir lesen „this land“ und sofort ergänzen wir in Gedanken: „is my land“ und/oder auch „is your land“ und „was made for you and me“ – nach dem bekannten Song von Woodie Guthrie. Manchmal braucht es nicht mehr als zwei oder drei Wörter, um einen ganzen Kontext aufzurufen. Es geht hier um Fragen wie: Wo bin ich zu Hause? Was ist meine Heimat? Fragen, die sich die Künstlerin selbst stellte, als sie nach zehn Jahren in London nach Deutschland zurückkehrte und sich auf der Schwäbische Alb niederließ. Tatsächlich stammen die Farben und Motive der „This land“-Serie von hier.

 

Wenn wir nun weiterziehen auf unserem gedanklichen Rundgang durch die Räume der Galerie und Johanna Bauers Bildwelten, verlassen wir den Bereich der Malerei (im engeren Sinne) und großen Formate und gelangen mit den „botanicals“, d.h. den Blumenbildern und Stillleben, zum zweiten Medium, dessen sich die Künstlerin bevorzugt bedient: der Monotypie. Bei diesem weniger gebräuchlichen Druckverfahren wird das Papier auf eine mit Linoldruckfarbe eingewalzte glatte Oberfläche gelegt; wenn die Künstlerin nun mit der Spitze eines Stifts oder mit den Fingern auf die Rückseite des Papiers Druck ausübt, wird es vorne an der jeweiligen Stelle Farbe annehmen.

 

Wie der Name schon sagt, erhält der Drucker jeweils nicht mehr als EINEN EINZIGEN Abzug pro Platte – eine Regel, über die Bauer sich immer wieder hinweggesetzt hat: Bei den Blumenbildern hat sie teils mehrere Drucke von einer Platte genommen, mit dem Ergebnis, dass die Farbe von Druck zu Druck blasser wird und das Motiv allmählich verschwindet – ähnlich wie die vertrockneten Ranunkeln, die zwei Jahre lang im Atelier der Künstlerin herumstanden und nun auf einigen Blättern der Serie zu sehen sind. Hierin könnte man durchaus einen sinnfälligen Bezug zur möglichen Bildaussage erkennen: Mit den Blumen greift Bauer ein klassisches Vanitas-Motiv auf; sie stehen als Inbegriff flüchtiger Schönheit in der Malerei seit jeher sinnbildlich für die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens und die Hinfälligkeit der menschlichen Existenz. Bei Johanna Bauer verschwindet das Motiv selbst: es löst sich im Verlauf des Schaffensprozesses immer weiter auf, bis es sich – stellenweise – nur mehr erahnen lässt.

 

Teils lassen die Blumenbilder übrigens an einen großen Ahnen aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts denken, namentlich an Andy Warhols „Flowers“-Serie mit ihren in grellen Farben leuchtenden Blüten vor schwarzem Untergrund. „Dear Andy, thank you for the flowers“, heißt es einmal in einer direkten Referenz auf den Pop Art-Künstler.

 

An Wahol lassen auch die Monotypien der Kleinserie „Lawyers Protest in Uganda“ denken: Seine „Little Race Riot“-Bilder von 1964 basieren auf einem körnigen Zeitungsfoto – ein Dokument der brutalen Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten im Zuge der Anti-Apartheids-Bewegung. Der Künstler hat die Aufnahme vergrößert und vervielfältigt, um die Abzüge dann unterschiedlich einzufärben und zusammenzustellen. Das ist dem, was Johanna Bauer mit den Bildern vom Protest der Rechtsanwälte in Uganda gemacht hat, in formaler Hinsicht zunächst einmal gar nicht so unähnlich.

 

Doch in der Tat sind die Unterschiede fundamental: Der Siebdruck, für Warhol Medium der Wahl, ermöglicht dem Künstler die nahezu unbegrenzte Reproduktion seiner Arbeiten im Sinne einer fast fabrikartigen Massenfertigung. Hingegen ist jede Monotypie ein Unikat. Bei Johanna Bauer ist es gerade nicht die massenhafte Vervielfältigung, sondern der gestalterische Prozess, der im Vordergrund steht: Beim Drucken im Monotypie-Verfahren ist der Zufall Co-Autor des Künstlers. Was und wie stark sich etwas auf der Vorderseite des Blattes abdruckt, ist nur bedingt kontrollierbar. Die Bilder verselbstständigen sich – Linien laufen weich aus und verschwimmen, unbeabsichtigte Farbschatten legen sich aufs Blatt. Die Künstlerin reagiert auf die vorgefundenen Zufallsstrukturen und interpretiert sie neu.

 

Für diesen Prozess steht der Ausstellungstitel: „substance and shadows“ – „Substanz und Schatten“ also hat die Künstlerin ihre Schau benannt. Das Begriffspaar entstammt einem Lied, dem Bauer einige der hier präsentierten Arbeiten gewidmet hat: Die drei großformatigen Monotypien mit dem Titel „Crucify your mind“ beziehen sich auf den gleichnamigen Song des US-amerikanischen Folk-Sängers Sixto Rodriguez. „Giving substance to your shadows“ heißt es im Text, der in „Crucify your mind“ (Variation 1) – zwar nicht durchgehend lesbar – aber doch nahezu vollständig wiedergegeben ist.

 

Was das für ihre Kunst bedeutet, hat Johanna Bauer selbst so erklärt: „Bei meiner Vorgehensweise wirft das Gemeinte, die Substanz, Schatten“, so schreibt sie, und weiter: „die Schatten werden im weiteren Prozess zum Gemeinten, zu Substanz.“

Von hier aus eröffnen sich weite Assoziationsspielräume: „Substanz“ und „Schatten“ – das lässt sich noch wörtlicher nehmen in Bezug auf die Materialität, die Textur und Struktur von Bauers Kompositionen: Als Gegensatzpaar spiegelt es auch den Kontrast der unterschiedlichen Werkstoffe wider, die in den Collagen zum Einsatz kommen.

 

Die „Crucify your mind“-Bilder sind schöne Beispiele dafür: Holzlatten treffen auf zarte Spitze, Papier- und Stoffstreifen werden wechselweise miteinander vernäht. Aus der rhythmischen Abfolge entsteht eine visuelle Partitur, eine Komposition aus Text und Textil.

 

So ist Bauers Kunst vom freien schöpferischen Umgang mit unterschiedlichen Techniken, Medien und Materialien geprägt: Sie webt und knüpft mit Farbe und Schrift, und malt mit Stoff (dass das möglich ist, ist eine Erkenntnis, die die Künstlerin ihrer Zeit in London und dem Besuch der afrikanischen und indischen Stoffläden dort verdankt). Ebenso werden klassische Genres und Sujets – wie Landschaft, Stillleben, Porträt – neu interpretiert und in unerwarteter Weise rekombiniert.

 

Diese Beobachtung führt uns noch einmal an den Anfang zurück, zu Lewis Carrol nämlich und seiner absurden Kindergeschichte von der kleinen Alice im Wunderland: Letztlich geht es um die geistige Offenheit, Dinge in neuer Beziehung zueinander denken und sehen zu können. Ich meine, das lässt sich auch für die Kunst von Johanna Bauer so sagen.

 

Barbara Reil

Februar 2016